Trennung

 

Wenn man älter wird, macht sich irgendwann der Körper entsprechend bemerkbar. Bei mir war es der Rücken, der sich immer wieder schmerzhaft meldete. Immer häufiger wurde ich krank geschrieben und benötigte Spritzen und Tabletten gegen die Schmerzen. Ich bekam Massagen und Bewegungsbäder verordnet, als die nicht mehr wirklich halfen, schickte mich mein Arzt zu einer Kur.

Maren war darüber sehr aufgebracht. Ihrer Meinung nach wird bei Kuren immer fremdgegangen und deshalb verbot sie mir, die Kur anzutreten. Die Aussicht auf Besserung meiner Gesundheit war mir aber wichtiger und so trat ich die Kur trotz des Verbots meiner Frau an.

Ich kam in eine Orthopädische Kurklinik in Bad Neuenahr. Dort lebte ich drei Wochen lang mit Menschen zusammen, die alle von ähnlichen Zipperlein geplagt wurden wie ich. Wir bekamen Massagen, Fangopackungen und Bewegungsbäder, lernten rückengerechtes Sitzen, Aufstehen und Heben, entspannten beim Autogenen Training und bekamen bei der Ernährungsberatung erklärt, wie wir gesund essen. Kleine Gruppen, die sich meist aus Tischgemeinschaften fanden, verbrachten die freie Zeit mit Spaziergängen, aber wir besuchten auch einen Flohmarkt in Köln und die Spielbank. Dort ist entsprechende Kleidung vorgeschrieben, die ich nicht dabei hatte. Einen Schlips kaufte ich deshalb im Kaufhaus und weil meine schwarze Lederjacke auch nicht der Kleiderordnung entsprach, lieh mir der Portier eine angemessene Jacke. Ein Mitschüler in der Waldschule war der Sohn des Chefkassierers der Spielbank Bad Homburg gewesen. Der hatte mich tagsüber mit in die Spielbank genommen und mir erklärt, was sich dort abspielt. Ich wusste deshalb, dass man in einer Spielbank nicht wirklich Geld gewinnt. Aber fünfzig D-Mark sollte mir der Abend wert sein. Die wollte ich verspielen. Ich tauschte sie in Jetons um und ging Menschen beobachtend von Tisch zu Tisch. Manchmal riskierte ich einen Einsatz und freute mich, wenn ich gewann. Als ich über 100 D-Mark in Jetons in der Tasche hatte, tauschte ich diese in Bargeld und ging zufrieden in mein Bett.

Maren kam an einem Wochenende zu Besuch. Sie hatte von meinem Spielerglück erfahren und die entsprechende Kleidung mitgebracht, weil sie auch die Spielbank kennen lernen wollte. Die aber war an diesem Abend eine andere. Wieder tauschte ich 50 DM in Jetons um. Die ungezwungene Stimmung bei meinem letzten Besuch war jedoch einer spürbaren Anspannung gewichen. Maren meinte wohl, wir müssten auf jeden Fall gewinnen und sagte mir, wann ich wie setzen sollte. Schließlich war der letzte Jeton verspielt und tief enttäuscht verließen wir die Spielbank.

Körperlich war die Kur ein Erfolg. Stimmungsmäßig aber war sie genau das Gegenteil. Ich war zwar nicht, wie Maren befürchtet hatte, fremdgegangen. Trotzdem zeigte sich Maren mir gegenüber immer distanzierter. Sie hatte sich schon früher ein eigenes Zimmer in der Wohnung eingerichtet. In das zog sie nun mit ihrem Bett um. Schließlich erklärte sie mir, dass wir uns trennen würden. Sie wollte nicht einmal mehr, dass wir alle vier, unsere Söhne, sie und ich, gemeinsam unsere Mahlzeiten einnahmen. Ich war durch ihr Verhalten so verletzt, dass ich ihrem Wunsch auf Scheidung zustimmte.

Schließlich rief Maren uns zusammen und erteilte mir den Auftrag, unseren Söhnen zu sagen, dass sich ihre Eltern scheiden lassen würden. Heute weiß ich, dass es ein Fehler war, das meinen Söhnen zu sagen. Dadurch müssen sie den Eindruck gewonnen haben, dass die Trennung auf meine Initiative zurückgegangen war. Dass die Beendigung der Ehe eine von Maren wohl schon länger geplante Sache war, wurde mir erst später bewusst.

Damals wusste ich noch nicht, was mir Sven später erzählt hat: Während ich zur Kur war, ging Maren gezielt in die Therme und lachte sich dort in der Sauna den Mann an, der ihr unter den gerade anwesenden am besten gefiel.

Es folgte die Scheidung, die anfangs aus einem Lehrbuch für vorbildliche Trennungen hätte stammen können: Wir einigten uns darauf, dass ich unser Haus behielt und Maren ihre Hälfte unseres Hauses abkaufte. Meine Frau nahm sich eine Wohnung im gleichen Dorf. Da sie in der Woche 30 Stunden arbeitete und ich im Schichtdienst mit Bereitschaften und Wochenenddiensten rund 60 Stunden, zogen die Kinder mit in ihre Wohnung. Diese hatten weiterhin die Hausschlüssel und meinen Dienstplan. Sie konnten also immer, wenn sie Lust hatten, bei mir vorbeikommen. Das Sorgerecht hatten beide Eltern weiter gemeinsam, eine Besuchsregelung war nicht notwendig. Ich verbrachte mit meinen Söhnen viel Zeit.

Nun tauchte Marens neuer Partner öffentlich auf. Ein stattlicher Mann, vorzeigbar. Er arbeitete bei einem Radio- und Fernsehsender und war mit einem Aufnahmeteam immer dort unterwegs, wo es etwas zu berichten gab, das die Fernsehzuschauer interessierte. Er war verheiratet und hatte drei schulpflichtige Töchter. Maren arbeitete weiterhin, war an den Wochenenden aber nun mit Josef überall dort unterwegs, von wo er für die Fernsehzuschauer berichtete.

Um Maren auszahlen zu können, hatte ich eine Hypothek aufgenommen. Ich nagte nun zwar nicht am Hungertuch, aber größere Ausgaben konnte ich mir nicht leisten. Meine Frau dagegen hatte genügend Geld zur Verfügung, um ihre neue Wohnung geschmackvoll einrichten zu können und um die Wochenenden mit Josef an vielen interessanten Orten in Hotels und Restaurants verbringen zu können.

Wir hatten während der Ehe eigene Bankkonten gehabt. Nach der Trennung wurden die gegenseitigen Vollmachten über diese Konten aufgehoben. Maren hatte den Onlinezugang zu ihrem Konto nicht gelöscht, obwohl sie ihre Geldgeschäfte nur am Bankschalter erledigte. Deshalb konnte ich gelegentlich vom heimischen PC aus ansehen, wie die Guthaben auf ihren Konten zügig dahin schmolzen. Nach einem Jahr war das Geld, das ich ihr für ihre Hälfte des Hauses und den Wohnwagen bezahlt hatte, aufgebraucht.

Die Stimmung in der Wohnung meiner Ex muss nun unerträglich geworden zu sein. Josef besann sich eines besseren und kehrte zu seiner Familie zurück. In dieser Situation kam Sven zu mir und bat mich darum, wieder bei mir wohnen zu dürfen. Er hat es, wie er es ausdrückte, "nicht mehr bei Mami ausgehalten".

Im Dachgeschoss hatte ich mir eine Wohnung eingerichtet, in der ich eigentlich allein leben wollte. Dort zog nun Sven mit ein und bekam das Zimmer wieder, das früher schon sein Zimmer gewesen war. Einige Wochen später zog auch Björn zu uns, obwohl ich noch gar kein Zimmer für ihn frei hatte.

Maren hatte inzwischen einen anderen Mann kennen gelernt. Sie löste ihre Wohnung auf und zog zu ihm nach Kassel.

Inzwischen war meine Mutter, die im Erdgeschoss unseres Hauses gewohnt hatte, gestorben. Die Mieter, die seit dem Auszug meiner Familie im ersten Stock gewohnt hatten, zogen in ihr neu gebautes Haus. Ich hatte eine Frau kennen gelernt, mit der ich zusammen leben wollte.

Meine Partnerin zog also mit ihren zwei Kindern in meinem Haus ein, ihre Mutter in die frühere Wohnung meiner Mutter. In unserem Haus, in dem meine Söhne aufgewachsen waren, lebten wir nun als eine Patchworkfamilie. Diese bestand aus den Resten von zwei gescheiterten Familien mit insgesamt vier Kindern und war außerdem wieder eine Familie mit drei Generationen. Und - es war eine Familie mit einer Tochter. Maren und ich hatten uns einen Sohn und eine Tochter gewünscht, aber drei Söhne bekommen. Für Maren war es sicher frustrierend zu erleben, wie ich nun lebte. Genau so wie vor unserer Trennung, wieder mit einer Frau und einer Oma im Haus, aber statt zwei nun vier Kindern. Drei Jungen und einem Mädchen.

Als meine Söhne wieder zu mir zogen, war das Verhältnis zu ihrer Mutter tiefgreifend gestört. Björn verlangte von mir nachdrücklich, ich solle das alleinige Sorgerecht für ihn beantragen, er wolle nichts mehr mit seiner Mutter zu tun haben. Ich lehnte das ab, weil ich mir sehr bewusst bin, dass für Kinder beide Eltern, Vater und Mutter, wichtig sind. Tatsächlich besserte sich das Verhältnis zu seiner Mutter langsam wieder und er verbrachte schließlich zunehmend die Wochenenden bei ihr.

Sven erzählte mir, dass er darunter gelitten hatte, als das Rasierzeug von Josef seinen festen Platz im Badezimmer gefunden hatte. Er hatte ihn wohl nur als den Liebhaber seiner Mutter, aber nicht als Familienmitglied empfunden. Er berichtete mir auch, was seine Mutter ihm erzählt hatte: Während ich in der Kur in Bad Neuenahr war, suchte sie sich gezielt einen Liebhaber in einem Thermalbad. Josef war wohl unter den gerade anwesenden Männern derjenige, der ihrem Ideal am ehesten entsprach. Folglich war er es, den sie in der Sauna, beide splitternackt, vielversprechend und erfolgreich anlachte.

Sie selbst, die sich einen Mann wie Rufus Beck erträumt hatte, lebt heute mit einem Partner, der diesem Ideal nicht wirklich entspricht. Nun gut - dieser Mann wird andere Qualitäten haben, die ihren Wünschen entgegen kommen. Er besaß schon damals ein Haus in Spanien, bald darauf wurde ein Doppelhaus in Deutschland erbaut, das ihr gehörte. Per Flugzeug wurde zwischen Deutschland und Spanien hin und her gependelt.

Meine Bemühungen, die Beziehung meiner Söhne zu ihrer Mutter wiederherzustellen, waren erfolgreich. Mit der Besserung der Beziehung zur Mutter veränderte sich aber ihre Beziehung zu mir. Björn erzählte mir schon, als er noch bei mir wohnte, dass Peter in Spanien gute Beziehungen hätte. Deshalb könne er dort auch ohne Abitur studieren und in Peters Haus an der Costa Blanca leben. Er bekam einen neuen Computer mit allem Zubehör geschenkt, Sven ein Auto.

Als er volljährig war, zog Sven aus. Er mietete eine Wohnung 100 Meter von unserem Haus entfernt. Er sprach mittlerweile kein Wort mehr mit mir, grüßte mich nicht einmal mehr auf der Straße. Einige Wochen später zog auch Björn aus. Zurückgelassenen Notizen zufolge war der neuerliche Auszug meiner Söhne bereits Monate vorher geplant gewesen.

 

 

PAS

Parental Alienation Syndrome

Wie konnte es dazu kommen, dass meine Söhne den Kontakt zu mir abbrachen? Dazu die folgenden Gedanken:

Jede Scheidung der Eltern ist für die betroffenen Kinder ein Trauma. Auch für meine Söhne war wohl nicht erkennbar, warum sich ihre Eltern getrennt hatten. Es gab keine dramatischen Streitereien, niemand wurde geschlagen oder bedroht, weder Vater noch Mutter hatten jemand gefunden, der hübscher, klüger oder reicher war als der jetzige Partner. Jedenfalls war noch nicht bekannt, dass Maren ihre Zukunft mit einem anderen Mann plante. Es ging uns gut. Wir hatten ein eigenes großes Haus, in dem meine Mutter in einer eigenen Wohnung mit wohnte. Wir hatten zwei Autos und einen Wohnwagen, mit dem wir jedes Jahr nach Cap dŽAgde fuhren, um dort unseren Urlaub zu verbringen. Wir waren eine ganz normale Familie wie so viele andere auch. Aus der Sicht der Kinder gab es also zum Zeitpunkt der Trennung für diese keinen Anlass.

Die erste Zeit nach der Trennung war wohl für unsere Söhne durchaus erträglich. Ihre Eltern lebten zwar nicht mehr zusammen, aber sie konnten beide so oft sehen, wie sie es wollten. Ihre Mutter hatte genügend Geld zur Verfügung, um sich alle Wünsche zu erfüllen. Als dieses Geld aufgebraucht war, muss es zwischen Maren und Josef zu Spannungen gekommen sein, unter denen die Kinder litten. Deshalb wollten sie wieder zu mir ziehen und es war für mich selbstverständlich, dass ich sie nicht im Stich gelassen habe.

Dem stimmte Maren zwar zu, aber es war offensichtlich, dass sie es nicht wirklich akzeptieren konnte, dass ich in unserem Haus so lebte wie vor meiner Trennung von ihr. Weiter ist anzunehmen, dass es für ihren neuen Partner auf Grund dessen eigener Biografie wichtig war, eine Familie vorweisen zu können.

Ich wusste damals noch nicht, dass es ein Parental Alienation Syndrome (PAS) gibt. Ich konnte mir schlicht nicht erklären, warum sich meine Kinder so nachdrücklich von mir abwendeten.

Als PAS wird das Phänomen beschrieben, dass ein Kind bei sich trennenden, scheidenden oder geschiedenen Eltern, meist relativ plötzlich und ohne nachvollziehbare Gründe, sich von dem umgangsberechtigten Elternteil und dessen Beziehungspersonen vollständig abwendet und nur noch mit dem Sorgeberechtigten und dessen Beziehungsumwelt zu tun haben will. In der deutschen Sprache wird das Syndrom "Eltern-Kind-Entfremdung" genannt.

PAS wurde erstmals 1985 von dem US-amerikanischen Kinderpsychiater Professor Richard A. Gardner so bezeichnet und beschrieben.

Die obige Definition habe ich abgeschrieben. Sie trifft bei uns nicht ganz zu, weil ich nicht nur ein Umgangsrecht, sondern bis zur Volljährigkeit meiner Kinder das gemeinsame Sorgerecht für sie zusammen mit Maren hatte.

Der Kontakt zwischen meinen Söhnen und Maren war wieder hergestellt und Björn besuchte sie regelmäßig, schließlich verbrachte er alle Wochenenden bei ihr. Dabei kam es zu der regelmäßig wiederkehrenden Situation, dass Björn, wenn er von seiner Mutter kam, zu uns sehr distanziert war. Die Montage waren unerträglich, jeden Tag wurde er etwas umgänglicher und zum Ende der Woche konnte er ganz normal mit uns reden. Am nächsten Montag fing alles wieder von vorn an.

Sven veränderte sich zunehmend. Beim ersten Weihnachten, das beide mit Peter verbrachten, gingen meine Söhne mit Maren und Peter in ein Lokal, um das Fest zu feiern. An diesem Abend brachte Sven einen kompletten Ständer mit Werbe- und Grußkarten mit nach Hause, wie sie in manchen Lokalen gratis mitgenommen werden können. Es störte mich allerdings, dass Sven nicht nur die kostenlosen Karten mitgenommen, sondern gleich den kompletten mannshohen Ständer unter dem Beifall von Peter geklaut hatte. Ich spürte, dass meine Einwände nicht gegen Svens Begeisterung für Peter ankamen und dass mit dieser Begeisterung die Distanz mir gegenüber immer größer wurde.

Als Sven 18 Jahre alt wurde, teilte er mir mit, dass er ausziehe. Er nahm sich eine Wohnung in der gleichen Straße, in der wir lebten. Als er auszog, verabschiedete er sich nicht einmal und seinen Haustürschlüssel übergab mir Björn. Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum Sven einige Zeit später, als ich nicht zu Hause war, sein Zimmer aufgebrochen hatte. Das Zimmer war komplett leer geräumt gewesen und ich hatte das leer stehende Zimmer abgeschlossen.

Ich hatte für Sven, damit er sich seinem Alter entsprechend fortbewegen konnte, ein neues Leichtkraftrad gekauft. Da ich es nicht bar bezahlen konnte, gab meine Mutter auch etwas Geld dazu und ich stotterte einen Ratenkredit dafür ab. Mit diesem Motorrad baute er zwei Unfälle. Einmal war er zu schnell gewesen und von der Straße abgekommen, ein anderes Mal war er zu schnell an einer Kreuzung abgebogen und unter einen an der Ampel wartenden Omnibus gerutscht, die Reparaturen habe ich bezahlt. Dieses Motorrad ließ er bei seinem Auszug ohne Kommentar, inzwischen mit einem weiteren Unfallschaden, in der Garage stehen. Er brauchte das Motorrad nun nicht mehr, da er von Peter ein Auto geschenkt bekommen hatte. Aber er warf mir später vor, ich hätte ihm das Motorrad geklaut, obwohl ich noch nach seinem Auszug die Raten für den Kredit bezahlen musste.

Björn orientierte sich immer an seinem großen Bruder und so war es folgerichtig, dass er ebenfalls auszog. Seine Mutter besaß inzwischen ein Doppelhaus, er zog zu ihr.

Als Maren und die Jungen damals ausgezogen waren, hatten sie Krabbe, den letzten unserer Dackel, mitgenommen. Björn hatte immer an diesem Hund gehangen und ihn auch wieder mitgebracht, als er von seiner Mutter wieder zu mir gezogen war. Als er nun umzog, durfte er den Hund jedoch nicht dorthin mitnehmen. Also blieb der Hund wieder bei mir. Björn besuchte mich noch einmal und brachte mir die Reste an Futter und Leckerli, die noch bei seiner Mutter geblieben waren.

Für Björn hatte ich einen gebrauchten Motorroller gekauft, den er als 15-jähriger fahren durfte. Auch dieser blieb kommentarlos in meiner Garage stehen. Als Sven das Auto bekommen hatte, bekam Björn einen Computer geschenkt. Nun bekam Björn von Peter einen neuen Motorroller.

Eines Tages standen Sven und Björn völlig überraschend dann doch wieder vor meiner Tür. Ihre Mutter hatte sie beauftragt, von mir den Karton mit den Andenken an Sönke zu fordern, der auf dem Boden geblieben war, als sie auszog. Ich lehnte es ab, sofort den Karton zu holen, in dem vor allem Kindergartenbasteleien aufgehoben worden waren. Wenn Maren etwas von mir wollte, hätte sie selbst zu mir kommen und mich fragen können. Außerdem gehören die Andenken an unser gemeinsames verstorbenes Kind nicht mit der unterstellten Selbstverständlichkeit der Mutter, sondern beiden Eltern.

Ich habe später den Karton vom Boden geholt und mir den Inhalt noch einmal angesehen. Nun verstand ich auch, warum Maren den Karton unbedingt haben wollte. Zwischen Sönkes Sachen lagen Andenken an ihre Freundin Monika, aus denen hervorging, dass die beiden wohl mehr als nur Schulfreundinnen gewesen waren. Aber das war schon sehr lange her und spielte inzwischen keine Rolle mehr.

Ich habe meine Söhne danach nur dann wiedergesehen, wenn wir uns zu Verhandlungsterminen im Gericht gesehen haben.

 

 

 

 

Sven

 

Nach dem Auszug meiner Söhne hatte ich keinen persönlichen Kontakt mehr zu diesen. Um ihnen wenigstens die Möglichkeit zu geben, etwas darüber zu erfahren, was ich denke und fühle, bastelte ich eine Webseite. Auf der beschrieb ich meine bisherige Familie und erzählte von meiner Trennungsgeschichte.

Prompt sah ich mich vor Gericht. Vier Personen hatten Klage eingereicht. Diese vier Personen waren Maren, meine beiden Söhne, und Peter, der neue Partner meiner Ex-Frau. Mir war damals nicht bewusst, dass es verboten ist, Namen und Bilder von Personen ohne deren Einwilligung im Internet zu veröffentlichen. Das gilt selbst dann, wenn diese Personen zur eigenen Familie gehören. Tausende von Familien veröffentlichen Webseiten über sich mit abertausenden von Fotos im Internet. Trotzdem war die Klage begründet und ich bekam in einem Urteil verboten, meine Webseite weiter in dieser Form zu betreiben. Das Verfahren gewannen letztlich aber nur Maren und Sven. Da ich weiter das Sorgerecht für Björn hatte, hätte ich der Klage meines Sohnes gegen mich zustimmen müssen. Da ich das selbstverständlich nicht tat, konnte er nicht klagen. Peter hatte mit meiner Familie nichts zu tun und war auch nicht auf meiner Webseite erwähnt gewesen. Er hatte deshalb keinen Anlass zu klagen. Erst später begriff ich, warum er schon damals so erpicht gewesen war, mich zu verklagen: Er wollte mich mundtot machen, falls ich etwas über seine frühere Geschichte erfahren sollte.

 

Sven verlangte von mir Unterhalt. Volljährige Kinder bekommen von ihren Eltern Unterhalt in einer festgelegten Höhe, damals standen Sven monatlich 1120,- DM zu. Obwohl Maren als Kindergartenleiterin und ich als Erzieher keine wesentlich unterschiedlichen Einkommen hatten, bezahlte ich an Sven 800,- DM, Maren zahlte ihm 320,-DM.

Die Unterhaltsbeträge für Kinder werden regelmäßig in der "Düsseldorfer Tabelle" festgelegt. Diese Beträge wurden für Volljährige ab 2002 auf 1175,- DM angehoben. Sven forderte von mir, dass ich den Unterschiedsbetrag allein bezahlen solle, somit 855,- DM im Monat. Seine Mutter wollte weiter 320,- DM zahlen.

Das schien mir nun entschieden zu ungerecht und ich bezahlte nicht. Nun kam es zu einer Klage, wir trafen uns vor Gericht wieder. Maren hatte ihre gut bezahlte Arbeit als Kindergartenleiterin im öffentlichen Dienst aufgegeben und war angeblich mit einer nicht erfolgreichen Handelsvertretung selbständig, später als Büroangestellte tätig. Diese Anstellung als Büroangestellte hatte sie bei einer GmbH, deren Inhaber Peter war, mit dem sie nun zusammenlebte. So konnte sie sich selbst ein Einkommen bescheinigen, das deutlich unter der früheren Tätigkeit als Erzieherin lag.

Ein unterhaltspflichtiger Vater, der weniger Geld einnimmt, als er verdienen könnte, wird regelmäßig von Familiengerichten dazu angehalten, sich eine Arbeit zu suchen, die eine Zahlung von angemessenem Unterhalt ermöglicht. Es kann zur Unterhaltsberechnung sogar ein fiktives Einkommen zu Grunde gelegt werden, das sich an dem möglichen Einkommen orientiert. Bei Maren war dieser Grundsatz nicht angewandt worden. Ich wollte nicht akzeptieren, dass eine Frau mit zwei Wohnsitzen in Deutschland und Spanien, die ein offensichtlich wohlhabendes Leben führt, ihre Unterhaltsverpflichtungen für Sven auf mich abwälzt.

Sehr mühsam wurden Marens Einkommensverhältnisse vom Gericht geprüft und letztlich doch nicht geklärt. Nachdem aber sehr viele Fakten offengelegt worden waren, einigten sich Sven und ich in einem Vergleich darauf, dass seine Eltern jeweils die Hälfte des Unterhalts zahlen. Wäre es zu einem Urteil gekommen, hätte das Gericht unter Umständen festgestellt, dass Maren mehr verdient als ich, also auch den höheren Beitrag zu Svens Unterhalt hätte zahlen müssen.

Wenige Tage vor der entscheidenden mündlichen Verhandlung schickte mir Sven eine E-mail, die mit "Schlussstrich" überschrieben war. Diese zielte darauf ab, mich auf das Tiefste persönlich zu verletzen. Er beleidigte mich "Du bist ein ekelhaftes perverses Schwein" und "Dreckschwein". Er warf mir vor, Geld von seinem Sparbuch geklaut zu haben. Von dem Geld war aber sein Führerschein bezahlt worden. Die E-mail gipfelt in dem Absatz:

"...doch ich habe endlich einen Vater gefunden und es ist sehr traurig, dass ich eine Vater-Sohn Beziehung erst seit meinem 18. Lebensjahr erleben darf! Das was Peter mir gibt konntest du mir in all den Jahren nicht geben; Liebe die ein Sohn zu seinem Vater empfindet, und Liebe durch seinen Vater zu erleben!!

Nur aus finanziellen Gründen versuchst du seit Jahren mir mein Leben zu ruinieren und mir die Zukunft zu verbauen.

Den einzigen Kontakt, den ich mit dir will, ist der Unterhaltskontakt."

Fast 18 Jahre scheinen aus dem Gedächtnis von Sven gelöscht zu sein. Er hatte eine glückliche Kindheit erlebt. Ein wesentlicher Teil dieser Kindheit war ich, sein Vater. Kann es wirklich sein, dass er diese Kindheit ganz und gar vergessen hat? Kann es wirklich sein, dass mein Sohn vergessen hat, was er zu mir sagte, als er von seiner Mutter wieder zu mir ziehen wollte? "Wir halten es bei Mami nicht mehr aus". Es war selbstverständlich für mich, dass Sven und Björn wieder zu mir ziehen konnten. Es war selbstverständlich für mich, dass beide wieder einen guten Kontakt zu ihrer Mutter finden sollten.

 

Sven machte sein Abitur und absolvierte danach den Zivildienst. Er hielt sich konsequent an seine Ankündigung, außer dem Unterhaltskontakt keinen Kontakt mit mir haben zu wollen. Ich erfuhr nicht, wie es ihm geht, ob er gesund ist, ob er eine Freundin hat und womöglich mit ihr ein Kind plant oder hat.

Er begann ein Studium und schickte mir die Formulare für die Bafög-Anträge.

Ich teilte nun dem Bafög-Amt mit, dass ich keinen Unterhalt an Sven zahlen werde und begründete dies mit dem Verhalten Svens mir gegenüber. Meiner Meinung nach hatte mein Sohn durch das Verhalten seinem Vater gegenüber den Anspruch auf Unterhalt verwirkt. Ich füllte aber regelmäßig die Formulare aus, die ich von Sven zugeschickt bekam. Daraufhin bezahlte das Bafög-Amt an ihn den vollen Bafög-Satz, davon den Anteil des Vaters als Unterhaltsvorschuss. Seine Mutter hatte sich als nicht leistungsfähig dargestellt.

 

Svens Unterhaltsanspruch gegen mich ging auf den Freistaat Bayern über, der sich erst einmal Zeit ließ und dann "rückständigen Unterhalt" von mir einforderte. Als Sven sein Studium beendete, entschied hierüber auch das Gericht: Sven stand kein Unterhalt von mir zu und deshalb konnte auch der Freistaat Bayern diesen nicht von mir fordern.

Peter, der heutige Ehemann von Maren, schrieb mir nach der Adoption von Björn einen hämischen Brief in dem er andeutete, dass Björn nicht mein leiblicher Sohn sein könnte. Das halte ich für ausgeschlossen, Björn wurde sehr bewusst nach dem Tod meines ältesten Sohnes Sönke gezeugt. Maren lebte aber vor der Geburt von Sven getrennt von mir in Kiel. Könnte da Peter etwas falsch verstanden haben? Ich wollte Gewissheit und ein Vaterschaftstest ergab:

Sven ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,999999 %, also mit Sicherheit, mein Sohn.

 

Heute ist Sven verheiratet, er dürfte seine Ausbildung zum Lehrer abgeschlossen haben. Ich würde gerne seine Frau kennen lernen und wissen, wie es meinem Sohn geht. Vielleicht bin oder werde ich ja Großvater?

Sven hält sich weiter an seine Ankündigung, keinen Kontakt zu mir haben zu wollen. Seine Frau schrieb mir:

  

 

Herr Ulbrich,

ich habe keinerlei Interesse, mit Ihnen in Kontakt zu treten.

In Zukunft bitte ich Sie darum, auch keinen weiteren Kontakt mit mir aufzunehmen, da sie ohnehin keine Dinge erzählen können, die mir nicht schon bekannt sind.

Iris ........

 

 

 Es kann schon sein, dass ich ihr die vielen Dinge, über die ich hier geschrieben habe, niemals erzählen kann. Aber es kann sein, dass sie nun das liest, was ich ihr nicht erzählen darf. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass eine Frau kein Interesse daran haben soll, den Vater ihres Mannes kennen zu lernen. Aber hier kann sie wenigstens etwas über ihn lesen.

 

 

 

 

 

 

Björn

 

Es gab Dinge, über die Maren und ich uns bei Björn mehr Gedanken machten als bei Sven. In seiner sprachlichen Entwicklung war er langsamer als Sven, deshalb verordnete der Kinderarzt Sprachheilunterricht und später Ergotherapie. In der Grundschule bekam Björn den gleichen Klassenlehrer, den Sven auch gehabt hatte und die Grundschulzeit ging ohne Probleme vorbei. Für uns und den Klassenlehrer war klar, dass Björn wie sein Bruder Sven auf das Gymnasium geht und so kam Björn auf die gleiche Schule und bekam ebenfalls dort den gleichen Klassenlehrer, der Sven schon auf dem Gymnasium unterrichtet hatte.

Nach Svens erstem Schuljahr auf dem Gymnasium hatte dieser Klassenlehrer bei einem Elternabend allen Eltern versprochen, dass ihre Kinder das Abitur machen werden. Er hatte darüber sinniert, dass es schlecht sei, wenn die Eltern die Schulform nach der Grundschule aussuchen dürften und er nun die unangenehme Aufgabe gehabt hatte, alle die Schüler auszusortieren, die nicht für das Gymnasium geeignet waren. Dies habe er aber abgeschlossen. Nun traf dieses Aussortieren Björn. Er konnte nicht auf dem Gymnasium bleiben und wechselte auf die Realschule. Es gab zwei Realschulen, die mit dem Schulbus von unserem Dorf aus zu erreichen waren und wir suchten diejenige aus, die nach Meinung der Mehrzahl der Mütter im Dorf die bessere sei. Auf dieser Schule kam Björn auch gut zurecht. Es stellte sich heraus, dass er Legastheniker ist, es gab aber ergänzenden Unterricht, mit dem diese Schüler gefördert wurden. Wie weiter oben beschrieben, hatte sich Maren von mir getrennt, Sven und Björn zogen mit der Mutter aus und später zogen die beiden Jungen wieder zu mir.

Maren war darauf hin zu Peter, ihrem neuen Partner, gezogen. Dieser verkaufte Fertighäuser und schien davon sehr gut leben zu können. Das größte Modell dieser Fertighäuser, ein Doppelhaus, wurde errichtet und auf Marens Namen im Grundbuch eingetragen. Da ich ja wusste, dass Maren sämtliches Geld aufgebraucht hatte, das sie von mir bekommen hatte, konnte sie kein Geld für ein solches Haus gehabt haben. Aber egal, sie war nicht mehr mit mir verheiratet und dass sie nun laut Grundbuch für 590.000,- DM gegenüber der Dresdner Bank geradestehen musste betraf mich nicht.

Maren wollte nun, dass Björn von der einen auf die andere Realschule wechselte, die von unserem Dorf aus mit dem Bus erreichbar war. Obwohl ich nicht wirklich einen Sinn in diesem Schulwechsel erkennen konnte, stimmte ich der Forderung Marens zu. Nun fuhr Björn mit dem Bus in die andere erreichbare Stadt, in der auch viele andere Kinder aus unserem Dorf zur Schule gingen. Später wurde klar, warum Maren dies so gewollt hatte: Von der Schule aus, in die Björn nun ging, fuhr auch ein Omnibus in die Stadt, in der das neue Doppelhaus stand.

Sven war ausgezogen, Björn zog nun in das Doppelhaus, das von Maren, Peter und Björn bewohnt wurde.

Während Sven bei seinem Auszug sein Zimmer völlig leergeräumt hatte, hinterlies Björn sein Zimmer als eine Müllhalde. Eine solche Halde hatte ich schon in Björns Zimmer gesehen, als ich ihn bei Maren abgeholt hatte. Da Maren ihm damals beim Packen seiner Sachen nicht half, saß ich mit Björn auf dem Fußboden seines Zimmers und wir sortierten und packten alles ein, was er besaß. Diesmal nahm er nur das mit, was er wohl brauchte und ließ das Meiste zurück. Ich schloss auch dieses Zimmer ab und als mir klar war, dass Björn die Sachen nicht abholen würde, sortierte und entmüllte ich über Wochen hinweg das Zimmer. Die Sachen, die er zurückgelassen hatte, holte er nie ab. Seine Armbanduhr, die er bei einer Verlosung gewonnen hatte, trug ich nun mehrere Jahre lang selbst.

Wir hatten Dackel gezüchtet und den schließlich letzten Hund aus dieser Zucht hatte sich Björn schon in der Wurfkiste als seinen Hund ausgesucht. Wir verkauften ihn deshalb auch nicht und als Maren auszog, kam Krabbe natürlich mit in die andere Wohnung. Mit Björn kam der Hund wieder zu mir und als Björn in das Doppelhaus zog, blieb der Hund bei mir. Offensichtlich wollte man in dem neuen Haus keinen Hund haben oder man scheute bei den ständigen Flügen zwischen Deutschland und Spanien die entstehenden Strapazen.

Als Björn die Schule beendet hatte, bekam ich keine Informationen von Maren oder Björn darüber, wie er die Schule beendet hatte. Deshalb fragte ich bei der Schule nach und bekam telefonisch vom Direktor die Auskunft, er könne mir darüber nichts sagen, ohne vorher Maren um Erlaubnis gefragt zu haben. Da ich weiterhin mit Maren zusammen das Sorgerecht für Björn hatte, fuhr ich zu einem Gespräch mit dem Direktor in die Schule. Dort erfuhr ich, dass Maren in der Schülerakte hatte eintragen lassen, dass nur noch sie allein für Björn zuständig sei. Wie diese Eintragung in die Schulakte gekommen war, ohne dass dafür ein Beleg vorgelegt worden war oder Rücksprache mit mir genommen wurde, konnte der Direktor nicht erklären.

Björn hatte den Realschulabschluss erworben. Das Wahlpflichtfach Französisch, in dem er auf der Note 5 gestanden hatte, war abgewählt. In Deutsch hatte er eine 3 und in Englisch eine 4 bekommen. Dass er Legastheniker ist, war im Abschlusszeugnis nicht mehr erwähnt.

Nun schrieb mir Björn, dass er in Spanien studieren wolle, weil er in Deutschland keine Lehrstelle gefunden hätte. In sechs Semestern wolle er in Alicante international anerkannter Dolmetscher werden. Er ging nach Spanien, ich bekam nicht einmal eine Adresse, wo er sich aufhält.

Er hätte für ein Studium zum Dolmetscher in Deutschland Abitur und gute Schulnoten in der Sprache haben müssen sowie weitere wichtige Voraussetzungen wie die sichere Beherrschung der Muttersprache. Deshalb war deutlich, dass er nicht studieren wird. Dennoch sollte ich für dieses "Studium" Unterhalt zahlen. Ich wurde verklagt und von einer Familienrichterin zu Unterhaltszahlungen verurteilt. Es spielte keine Rolle, dass ich dem angeblichen Studium als immer noch Sorgeberechtigter nicht zugestimmt hatte, es spielte keine Rolle, dass dieses "Studium" sich als ein Kurs "Spanisch für Ausländer" mit zwei Stunden Unterricht täglich herausgestellt hatte.

Erst in der Berufung stellte das Oberlandesgericht fest, dass der Besuch der Sprachenschule Björns kein Studium war. Er hatte deshalb keinen Unterhaltsanspruch an mich. Da Maren meinen Sohn aber in Spanien unterhalten hatte, wurde ich zu einem "familienrechtlichen Ausgleich" herangezogen, der aber deutlich unter den Unterhaltssätzen lag.

Während der mündlichen Verhandlung beim OLG war Björn anwesend und erklärte überraschend dem Richter, dass er nun wieder in Deutschland sei und eine Lehre zum Elektroinstallateur begonnen habe.

Ja, Maren hatte auf der ganzen Linie gesiegt. Meine Söhne lebten wieder bei ihr, sie hatten jeden Kontakt zu mir abgebrochen. Die Geburtstagskarte zu seinem 17. Geburtstag hatte Björn an mich zurückgeschickt und schrieb dazu: "hätte ich gewusst, dass der Brief von dir ist, hätte ich ihn nicht aufgemacht". Als er mir mitgeteilt hatte, dass er nach Spanien gehen werde, schrieb er "Ich hoffe, dass du dich deinen Zahlungsverpflichtungen nicht entziehst." Diese Sätze hat er mit Sicherheit nicht aus freien Stücken an seinen Vater geschrieben.

 

 

 

 

Adoption

Ein Familienrichter informierte mich, dass Peter, der inzwischen mit Maren verheiratet war, meinen Sohn Björn adoptieren wolle. Ich durfte dazu eine Stellungnahme abgeben. Ich widersprach dem Adoptionswunsch und bat um Akteneinsicht. Die wurde mir und auch meinem Anwalt verweigert, deshalb weiß ich bis heute nicht, wie begründet wurde, dass Peter meinen jüngsten Sohn zu seinem erklären lassen wollte.

 

Ich kannte Peter und er war mir alles andere als sympathisch. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Mann nicht ganz koscher ist, hätte dieses Gefühl aber nicht begründen können. Bisher hatte ich aber keinen Anlass gehabt, mich mit seiner Vergangenheit zu beschäftigen. Das war nun anders, dieser Mann wollte mich als Vater entsorgen und an meine Stelle treten. Ich entschloss mich, nach Fakten zu suchen, die vielleicht eine Adoption Björns durch Peter verhindern könnten. Dabei ahnte ich noch nicht, auf welche Geschichte ich stoßen würde.

Wo aber fängt man mit solchen Nachforschungen an, wenn man nichts außer dem Namen und der aktuellen beruflichen Tätigkeit eines Mannes kennt?

Hier kam mir der Zufall zu Hilfe: Ich hatte mich, als Sven bei mir gewohnt hatte, mit ihm über die Frage der Müllentsorgung auseinander gesetzt. Er verlangte von mir ultimativ die Anschaffung einer größeren Mülltonne. Wenn Sven alle zwei Wochen den Müll aus seinem Zimmer entsorgte, passte der übrige Hausmüll nicht mehr in die Tonne. Ich verlangte deshalb von ihm, dass er, wie heute wohl allgemein üblich, den Müll trennen und Papier, Verpackungen und Glas gesondert über die Blaue Tonne und den Gelben Sack entsorgen sollte. Dies wollte Sven aber nicht auf sich nehmen. Altglas brachte ich regelmäßig selbst zum Glascontainer.

An einem Wochenende waren Maren, Peter, Sven und Björn gemeinsam unterwegs gewesen und meine Söhne wurden wieder nach Hause gebracht. Demonstrativ warf Sven eine große Papiertüte von McDonald mit Abfall in die leere Mülltonne. Statt mit ihm wieder eine fruchtlose Diskussion zu führen, holte ich später die Tüte aus der Tonne und verteilte den Inhalt, fast alles kam in die Blaue Tonne und den Gelben Sack. Dabei hatte ich plötzlich einen geöffneten, leeren, amtlich aussehenden Nachnahme-Briefumschlag in der Hand. Adressiert war er an Peter, Absender war das Standesamt der Stadt Frankfurt.

Warum schickt das Standesamt per Nachnahme ein Schriftstück an Peter? Das konnte nur eine Urkunde sein und war ein Hinweis, dass Peter in Frankfurt gewohnt haben musste.

Nun rief ich der Reihe nach die Menschen an, die unter seinem Nachnamen in Frankfurt im Telefonbuch standen. Wieder kam mir der Zufall zu Hilfe: Nach wenigen Anrufen hatte ich eine ältere Dame am Telefon, die Peter offensichtlich kannte. Sie wollte mir aber nichts über ihn erzählen, denn "mit so einem wollen wir nichts zu tun haben. Das ist ein Kinderschänder, der deswegen schon im Gefängnis gesessen hat". Trotzdem erfuhr ich, dass er nach Nordhessen verzogen war. Bereits eine halbe Stunde später rief mich eine andere Frau an. Sie stellte sich als die Tochter der alten Dame vor und beschwor mich, auf keinen Fall etwas von den Informationen zu verwenden, die ich bekommen hatte. Man habe schon vor der Verurteilung keinen Kontakt zu Peter mehr gehabt und alles nur indirekt erfahren. Man wisse deshalb ja gar nicht so genau, ob das alles wirklich so stimme.

Etliche Telefonanrufe und Nachfragen bei Meldebehörden später standen wir, Dagmar und ich, in einem kleinen Dorf in Nordhessen vor dem Haus, in dem Peter einmal mit seiner früheren Familie gewohnt hatte. Ich sprach einen Nachbarn an, der gerade Schnee vor seinem Haus weg räumte. Der rief seine Frau hinzu und wenig später saßen wir in deren Küche, bekamen Familienfotos gezeigt und die Geschichte erzählt:

Peter und die Nachbarin waren verheiratet gewesen. Die Frau hatte eine Tochter mit in die Ehe gebracht und gemeinsam bekamen beide eine weitere Tochter. Peter adoptierte seine Stieftochter. Er war im Dorf angesehen als ein netter Nachbar und betätigte sich als Ortsvorsitzender seiner Partei und als Elternbeirat. Umso schlimmer hatte die Nachricht im Dorf eingeschlagen, als bekannt geworden war, dass der vermeintlich liebevolle Vater immer wieder seine Adoptivtochter sexuell missbraucht hatte. Er wurde vor Gericht gestellt und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Zum Abschied gaben die Nachbarn uns noch einen Zeitungsartikel mit einem Bericht über die Verurteilung von Peter mit, den sie die ganzen Jahre über aufgehoben hatten.

Ich war mir sicher, dass ein Mann mit dieser Vorgeschichte nicht noch einmal ein Kind zur Adoption bekommen würde. Deshalb informierte ich den Richter über diese.

Ich wollte vor allem mit Peter, aber auch den anderen über die beabsichtigte Adoption sprechen. Deshalb fuhr ich in die Stadt mit dem neuen Doppelhaus.

Ich wusste, dass das Gespräch nicht einfach werden würde. Beim letzten Versuch, mit Maren zu sprechen, griff sie sofort zum Telefon und rief mir zu, ich solle ihr Grundstück verlassen, da sie sonst die Polizei rufe. Da sie dabei geradezu hysterisch wurde, fuhr ich unverrichteter Dinge wieder nach Hause.

Es war inzwischen dunkel, als ich auf das Haus zuging. Vor ihm parkten die vier Autos der vier Bewohner, also waren alle zu Hause. Ich kam nicht bis zur Klingel an der Haustür, weil Sven aus seinem Auto gesprungen kam und ins Haus rannte. Unmittelbar danach kam Peter mit Sven aus dem Haus. Ich sprach ihn an und sagte ihm, dass ich mit ihm sprechen wolle. Er aber rief mir zu, ich solle sein Grundstück verlassen, er habe nichts mit mir zu bereden und ging ins Haus zurück. Ich stand noch unschlüssig in der Grundstückseinfahrt, als die Haustür wieder geöffnet wurde. Nun kamen Sven, Björn und Peter heraus und ich kam mir vor wie in einer Szene aus einem billigen Westernfilm. Nebeneinander gingen mit entschlossenen Schritten und finsteren Mienen meine Söhne auf mich zu, mittig hinter ihnen Peter. Lediglich die Holster mit 45er Colts fehlten, um das Bild abzurunden. Unmittelbar bevor sie mich erreichten, überholte Peter die beiden und stieß mir, ohne langsamer zu werden, mit beiden Händen gleichzeitig vor die Brust. Ich stolperte rückwärts und rief Peter weiter zu, dass ich mit ihm reden wolle. Er aber stieß mir wortlos immer wieder vor die Brust, ich stolperte immer wieder rückwärts, bis ich letztlich auf der Straße stand. Nun rief mir Peter zu: "Hier dürfen Sie stehen bleiben", die drei drehten sich um, und gingen ohne ein weiteres Wort zurück ins Haus.

Um seinem Verbot, das Grundstück zu betreten, Nachdruck zu verleihen, zeigte mich Peter bei der Polizei an. Als ich dort gewesen war, lag ein größerer Haufen neben dem Haus, der mit einer Plane abgedeckt gewesen war. Was darunter war, weiß ich nicht. In der Anzeige behauptete Peter, ich hätte unter der Plane gelagerte Möbel zerstört. Die Anzeige war in sich unsinnig. Wer lagert im Winter bei Sturm und Schnee seine Möbel im Freien, besonders wenn eine ungenutzte Doppelhaushälfte dafür zur Verfügung steht? Die Anzeige wurde eingestellt.

 

Da ich keine Informationen über das Verfahren bekam, fragte ich nach einem halben Jahr beim Gericht nach. Der Richter klärte mich nun darüber auf, dass er mir nach § 1758 BGB keine Auskunft geben dürfe. 15 Tage später meldete sich der Richter noch einmal - er habe nachgedacht und teile nun mit, dass ich nicht mehr mit meinem Sohn Björn verwandt sei.

Hätte ich nicht nachgefragt und sich der Richter sich nicht doch noch anders entschieden, wüsste ich womöglich bis heute nicht, dass ich mit meinem jüngsten Sohn nach dem Gesetz nicht mehr verwandt bin.

 

In Deutschland ist es also möglich, dass ein Vater ohne jedes Verschulden sein Kind wegadoptiert bekommt. Er wird zwar darüber informiert, dass ein Verfahren vor einem Gericht anhängig ist. Aber er wird von jeder Beteiligung an diesem Verfahren ausgeschlossen. Wenn die Gegenseite Vorwürfe gegen ihn erhebt, kann er sich gegen diese nicht verteidigen, da er sie nicht einmal kennt. Es ist sogar möglich, dass ein Beschluss zur Adoption gefasst wird, ohne dass der entsorgte Vater von diesem erfährt.

 

Wie viele Väter mag es wohl in Deutschland geben, die auf diese Weise nach dem Gesetz nicht mehr mit ihren Kindern verwandt sind?

Alle diese Väter sind und bleiben die Väter ihrer Kinder. Auch ein Gericht kann die persönlichen Bande, die zwischen Eltern und ihren Kindern bestehen, nicht durchschneiden.

Peter hat mir nach der Adoption einen hämischen Brief geschrieben, in dem er mir androht, vor Gericht zu gehen, falls ich Björn noch ein mal als meinen Sohn bezeichnen sollte.

Deshalb, gerade für Peter und auch für alle anderen, die dies lesen:

 

Sven und Björn sind und bleiben meine Söhne, ich bin und bleibe ihr Vater.

Auch wenn ich es nicht leben darf.